Kapitel 5: Überfallen – Teil 2

 



Wahrscheinlich wäre es besser, wenn er ein Schlaflied aus Yoh lernen würde… Und während Sekka noch über diese Dinge nachdachte, schlief Eishoh ein.

Sekka überließ Eishoh den fähigen Händen der Amme und ging mit seinen Dienerinnen aus dem Meiju-Hof.

Der Meiju-Hof, in dem Eishoh lebte, und der Seika-Hof, in dem Sekkas Gemächer lagen, lagen gleich nebeneinander. Da die Höfe des Palastes allerdings sehr groß waren, war es durchaus üblich, in einer Sänfte zu reisen. Doch Sekka nutze solche Wege gerne für einen Spaziergang. Heute wurde er zudem auch nicht von Eishuns untergebenen Eunuchen begleitet, da man wohl nicht davon ausgehen konnte, dass er auf diesem Weg andere Konkubinen treffen würde.

Zum Glück ist Eishoh-sama heute ohne weitere Probleme eingeschlafen.“

In letzter Zeit war er ziemlich reizbar – das hat einige Schwierigkeiten gemacht.“

Ja, richtig“, stimmte Sekka ihnen mit einem gezwungen Lächeln zu. Vor ein paar Tagen noch hatte Eishoh, als man ihm gesagt hatte, dass Sekka nun gehen würde, großen Ärger gemacht. Er war trotzig gewesen, hatte sich nicht von ihm lösen wollen und man hatte ihn nur schwerlich beruhigen können.

Mir scheint fast, als ob er seit dem letzten Mal, als wir ihn gesehen hatten, noch größer geworden ist.“

Eishoh-sama ist wirklich ein sehr kräftiger Junge – und ein so liebreizendes Kind! Er scheint die Ehrwürdige Gemahlin wirklich zu mögen.“

Obwohl die beiden Dienerinnen über Kishoh selbst nie ein gutes Wort einlegten, so sprachen sie niemals schlecht über seinen Sohn.

Sekka fand auch, dass Eishoh ein liebreizendes Kind war. Da er seine eigene Mutter schon sehr früh nach der Geburt verloren hatte, lag manchmal ein Hauch der einsamen Miene eines verlorenen Welpens auf seinem Gesicht – und Sekkas Herz krampfte sich immer bei diesem Ausdruck zusammen. Zuerst hatte er nur vorgehabt, das Kind zu treffen und nicht mehr – doch schon bald hatte er sich zu Eishohs einsamer Existenz hingezogen gefühlt und den Meiju-Hof auch noch viele weitere Male besucht.

Auch wenn Sekka kein Ersatz für eine leibliche Mutter sein konnte, so könnte er sich doch an den Gedanken gewöhnen, der Spielkamerad dieses Kindes zu sein. Zumindest solange er in dem Harem bleiben musste.

Sobald sich einmal die Gelegenheit zur Rache bot, würde er auch den Inneren Palast verlassen. Es war nun schon über einen Monat her, seit man ihn nach Yoh gebracht hatte – doch das bedeutete nicht, dass er sein wahres Ziel vergessen hätte.

Insofern war seine jetzige Lage in Ordnung. Was Eishoh oder den kleinen Vogel betraf, so meinte er, dass die beiden für ihn zwar kleine Hindernisse und Anker waren, die er aber irgendwann auf seinem Weg zurück lassen musste. Es ärgerte ihn nur, dass er gerade alle von Kishohs Erwartungen erfüllte.

Er hatte den kleinen Vogel auf den Namen Tensei getauft und er versuchte sich möglichst selbstständig um ihn zu kümmern und ihm Essen und Wasser zu geben. Der kleine Kerl verstand, dass Sekka sein Meister war, und wenn er sich außerhalb des Käfigs befand, wollte er ihm nie von der Seite weichen. Er hatte sich schon einige einfache Worte gemerkt und er konnte seinen eigenen Namen in Sekkas Stimmlage sprechen.

Wenn man ihm also nicht so gut wie jeden Tag befehlen würde, Kishoh am Abend beizuliegen, so wäre sein Leben im Inneren Palast vielleicht gar nicht mal so übel.

Sekka musste seufzen, als er merkte, wie behäbig er geworden war. Sein Heimatland war umgestürzt worden und ihn selbst hatte man gegen seinen Willen ins Reich des Feindes verschleppt – daher war es sehr unwahrscheinlich, dass dieser Ort hier ein Zuhause für ihn werden würde. Und ganz zu schweigen davon hatte sich seine Wut Kishoh gegenüber auch kein bisschen abgeschwächt.

Kishoh befahl ihn noch immer zu sich – ohne ihm mal eine Pause von zwei aufeinander folgenden Tagen zu gönnen. Auch wenn Sekka anfangs geglaubt hatte, dass Kishoh nach einem Monat das Interesse an ihm verlieren würde, so schien sein Körper scheinbar doch interessanter und außergewöhnlicher zu sein als gedacht. Viel ärgerlicher aber war die Tatsache, dass er sich einfach nicht an die Vereinigungen mit Kishoh gewöhnen konnte! Da sie es schon so viele Male getan hatten, wäre es schön, wenn er keine weitere Reaktion mehr zeigen würde und einfach nur da liegen könnte wie eine Puppe. Doch stattdessen ließ sich Sekka jedes Mal schamlos von diesem anderen Mann mitreißen.

Obendrein begann Kishoh nun immer öfter, sich von seinen Regierungsgeschäften wegzuschleichen und Sekka tagsüber im Seika-Hof zu besuchen. Wie zu erwarten, war er in diesen Stunden zumindest nicht am Geschlechtsverkehr interessiert, aber er würde Sekka oft anzüglich liebkosen und sich sogar während Sekkas Mittagsschlafs schamlos daneben benehmen.

Als sie immer mehr Zeit miteinander verbrachten, hatte Sekka allmählich das Gefühl, als wäre die scharfe Schneide des Hasses für Kishoh in ihm langsam stumpf geworden. Er fragte sich, ob er sich einfach so gut durch das Behagen, welches ihm dieser Mann regelmäßig verschaffte, hatte zähmen lassen.

Aber nicht doch, das konnte nicht sein!

Das wies Sekka entschieden von sich. Ganz egal was noch passieren mochte, er war noch immer der letzte Überlebende der Kaiserfamilie Li. Er könnte es niemals vergessen, aus welchem Grund ihm seine Mutter damals befohlen hatte zu überleben: Damit er das Erbe seiner Familie fortführen und rächen konnte.

Ganz egal wie sehr man ihm im Inneren Palast einsperren oder beschmutzen würde – er durfte dennoch niemals vergessen, wer er eigentlich war.

Es sollte sein wankelmütiges Selbst wirklich mehr tadeln.

An der Kreuzung zum Korridor, der zum Seika-Hof führte, erwarteten sie einige Eunuchen. Als sie Sekka mit seinen Dienerinnen erblickten, verneigten sie sich in Kowtows. Es waren drei Eunuchen, doch keiner von ihnen kam ihm bekannt vor. Allerdings gab es im Palast wirklich viele von ihnen und es war unmöglich, sich alle zu merken.

Was ist Euer Begehr?“, fragte Shohen.

Der älteste der Eunuchen hob seinen Kopf. Er mochte vielleicht um die Vierzig sein. Im Vergleich zu anderen in die Jahre gekommenen Eunuchen, die mit der Zeit ein gewisses Speckpölsterchen angesetzt hatten, hatte er einen ungewöhnlich kräftigen Körper.

Der Oberste Haushofmeister hat uns befohlen der Ehrwürdigen Gemahlin auszurichten, dass er in privater Angelegenheit mit ihr sprechen müsse.“

Meister Kouki…?

Sogleich sah Sekka das hübsche Gesicht von Ryuu Kouki vor sich. Wahrscheinlich ging es um all die Belästigungen, die Eishun noch immer untersuchte. Aber wenn dem so war, so hätte ihn auch Eishun oder Kishoh darüber informieren können. Wenn sich Kouki allerdings ein Privatgespräch wünschte, dann hieß das wohl, dass er Sekka Dinge mitteilen wollte, die selbst diese zwei anderen Personen nicht hören sollten.

Sekka fand das ein wenig seltsam und so fragte er den Eunuchen: „Wo ist Seine Lordschaft jetzt?“

Er erwartet Euch in dem Teehäuschen dort hinten.“

Der Eunuch wies in die entsprechende Richtung. Zwischen den Bäumen hindurch konnte man bereits das Dach des Häuschens ausmachen. Sekka kannte diesen Pavillon – er hatte selbst einige Male auf seinen Spaziergängen dort angehalten und sich ausgeruht.

Und Kouki war es ja sogar ausdrücklich erlaubt worden, den Harem zu betreten und zu verlassen – wie immer er es wollte. Wenn er mit ihm sprechen wollte, dann hätte er ihm wohl am ehesten im Seika-Hof aufgesucht. Doch da er das nicht getan hatte und Sekka über eine Nachricht zu sich bat, musste es sich wohl um ein Thema handeln, bei dem wirklich äußerste Diskretion gefragt war und das unter keinen Umständen öffentliche Aufmerksamkeit erregen durfte.

Und Kouki wusste gewiss auch über die Angelegenheit von Kishohs Mutter Bescheid. Sekka fühlte sich nicht wohl dabei, ohne Erlaubnis Kishohs Vergangenheit zu untersuchen, aber er hatte schon vorher beschlossen, dass er wohl am besten eine Gelegenheit abpassen und mit Kouki alleine darüber sprechen sollte. Außerdem war er neugierig, in welcher Beziehung dieser Mann, der einst ein Feind von Kishoh gewesen war, nun zum Kaiser stand.

Also gut. Lasst uns gehen.“

Doch gerade, als sie sich alle umdrehten, um dem ältesten Eunuchen in Richtung des Pavillons zu folgen, wurden Shohen und Beigyoku von den anderen Eunuchen zurück gehalten.

Unser aufrichtigster Respekt, aber uns wurde befohlen, nur die Ehrwürdige Gemahlin mitzubringen. Ihr anderen zwei wartet bitte hier.“

Selbst wenn dies ein Befehl des Obersten Haushofmeisters ist, so können wir unmöglich von der Seite der Ehrwürdigen Gemahlin weichen“, erwiderte Beigyoku mit fester Stimme. Da sich Kouki einst im Zwist mit Kishoh befunden und er ihm gar die Stirn geboten hatte, schätzten ihn sowohl Shohen wie auch Beigyoku. Wahrscheinlich war das ein klassisches Beispiel des Sprichworts: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Allerdings waren die zwei wegen der kürzlichen, bösen Streiche noch wachsamer und wollten auf jeden Vorfall gefasst sein.

Der Oberste Haushofmeister besitzt das Vertrauen Seiner Majestät. Es besteht kein Grund zur Sorge, dass sich irgendeine Art der Indiskretion ereignen könnte. Also bitte wartet hier.“

Die zwei Dienerinnen, denen gerade von den Eunuchen der Weg versperrt wurde, sahen Sekka hilfesuchend und verwirrt an, als würden sie auf seine Befehle warten. Der halboffene Pavillon war recht nah, auch wenn man sein Innerstes nicht sehen konnte – zu viele Bäume versperrten die Sicht. Wenn irgendetwas Unerwartetes geschehen sollte, wäre es möglich, nach Shohen und Baigyoku zu rufen, die auf dem Gang bleiben würden.

Sekka befahl ihnen, hier ruhig zu warten, und dann folgte er dem anderen Eunuch auf den Weg durch den Garten.

Die Frühblüher waren bereits verwelkt und nun zeigten sich die Blumen des nahenden Sommers. Sekka fiel ein, dass sie schon bald ein Fest zur Würdigung der Strauchpfingstrosen im Inneren Palast feiern würde.

Allein schon die Vorstellung, sich mit den anderen Konkubinen treffen zu müssen, stimmte ihn trübsinnig. Am liebsten würde er alle Orte meiden, wo er zu sehr im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand. Doch wenn die Ehrwürdige Gemahlin Li – die Konkubine mit dem höchsten Rang, die vom Kaiser gerade am meisten bevorzugt wurde – fehlen sollte, würde das bei allen einen schlechten Eindruck hinterlassen; also hatte ihm Kishoh höchstpersönlich befohlen, dabei zu sein.

Vor ihnen auf dem Pfad konnte man schon den Pavillon erkennen. Allerdings sah man keine Spur von Koukis eindrucksvoller Figur. War er wieder gegangen, weil er so viel zu tun hatte und nicht länger warten wollte?

Eure Lordschaft…?“

Ehe Sekka weitersprechen und fragen konnte, wo Kouki war, drehte sich der Eunuch zu ihm herum. Er streckte seinen dicken Arm in Sekkas Richtung aus.

Sekka konnte nicht sagen, was als nächstes passierte. Der weiße Schleier, den er immer vor dem Gesicht trug, fiel ihm zu Füßen. Gerade als ihm das bewusst wurde, drehte man seine Arme auch schon in einem Klammergriff auf seinen Rücken und ein schmales Messer presste sich an seine Kehle.

Mach auch nur einen Laut und ich werde dir weh tun“, drohte der Eunuch, wobei er rücksichtslos seine starken Muskeln benutzte, um Sekka festzuhalten. In seinen Tonfall sickerte ein bisschen was von der unhaltbaren Schadenfreude angesichts einer sadistischen Tat hinein.

Offenbar war das eine Falle gewesen. Wahrscheinlich war dieser Kerl von den anderen Konkubinen bestochen worden. Sekka hätte sich nicht entspannen dürfen, nur weil er ein Eunuch war! Es war viel zu nachlässig gewesen, alleine zu diesem Pavillon mitzukommen, nur weil der andere Koukis Namen benutzt hatte!

Was soll das werden?“, fragte er ruhig, wobei er innerlich die eigene Unachtsamkeit verfluchte.

Ich sagte doch, dass du ruhig sein sollst!“

Dieses Mal drückte sich die Spitze des Messers mit einem Ruck an seine Wange. Sekka wich von dem Gefühl des kalten, scharfen Stahls zurück und dann wurde er auch schon in den Pavillon geschleift und hinab auf den Boden gestoßen.

Die Welt um ihn drehte sich. Er gab ein lautloses Stöhnen von sich, als der Schmerz in seinen Rücken fuhr. Sogleich beugte sich der Eunuch über ihn und behinderte Sekka in seinen Bewegungen. Auch wenn zwischen ihnen immer noch einige Kleiderschichten lagen, so konnte er die Statur dieses schweren Körpers genau fühlen. Und der Eunuch wiederum konnte auch genau Sekkas Körperbau ertasten.

Was… ugh..!“

Gerade als Sekka die Stimme erheben wollte, stopfte ihm der Eunuch grob ein Stück Stoff, das er gerade aus dem Mantel gezogen hatte, in den Mund. So konnte er gar kein Geräusch mehr von sich geben oder um Hilfe schreien. Und was noch dazu kam: Seine Arme wurden nun auch mit einem anderen Stück Stoff auf seinen Rücken gefesselt!

Das war erschreckend gute Arbeit! Er hatte gehört, dass es unter den Eunuchen auch solche gab, die militärische Erfahrung hatten, und dieser Bastard war wahrscheinlich einer von ihnen.

Die Ehrwürdige Gemahlin ist ja wirklich zierlich gebaut. Muss doch schwer sein, Seine Majestät mit solch schlanken Hüften und einer so dünnen Taille zu beglücken.“

Der Eunuch grapschte auf Sekkas Körper herum und lachte anzüglich. Selbst wenn er nur die Kleider berührte, so sandte die eklige Art, wie er die Hände bewegte, einen Schauer über Sekkas Körper.

Er würde herausfinden, dass Sekka keine Frau war! Nein, es würde nicht nur dieses Geheimnis enthüllen… Voller Angst, dass er auch sein anderes, tiefstes Geheimnis erfahren würde, funkelte Sekka den Eunuchen an!

Hmhph… mphm…!“

Jedes Flehen, dass er ihn doch bitte gehen lassen sollte, wurde von dem Knebel in seinem Mund erstickt. Er wehrte sich, um das Tuch, das seine Handgelenke zusammen band, zu lösen, aber es lockerte sich kein Stück. Stattdessen zog sich der Knoten bei den Bewegungen nur noch fester zusammen.

Ahhh, du riechst wirklich gut.“

Mhphm…. Ughm…“

Als sich die Nasenspitze des anderen der Rückseite von Sekkas Hals nährte, wandte der instinktiv das Gesicht ab. Es war abstoßend. Alle Härchen seines Körpers stellten sich auf. Es fühlte sich an, als würde ihn bereits die Berührung dieses feuchten Atems beschmutzen!

Es war völlig anders als die vielen Male, bei denen Kishoh ihn berührt hatte. Der Abscheu hier saß viel tiefer und das alles fühlte sich dadurch nur noch widerwärtiger an!

Der Eunuch packte mit seinen groben Händen Sekkas Kragen und versuchte ihn zu öffnen. Sekka konnte sich nicht mehr gut gegen ihn wehren, da seine Arme hinter seinem Rücken gebunden worden waren, aber er versuchte, diese Hände abzuschütteln, indem er den Oberkörper wand und verdrehte.

Oh, magst du es etwa nicht, von mir berührt zu werden?“ Der Eunuch verengte seine schmalen Augen noch mehr, als er angesichts von Sekkas Gegenwehr höhnisch lächelte. Er berührte seine Brust. Sekka trug die eigens gefertigte Unterwäsche, die ihm den Körperbau einer Frau verlieh, doch diese Illusion würde bei einer direkten Berührung natürlich nicht mehr viel helfen. Allerdings war Sekka schon immer sehr schlank und schmal gewesen, daher fiel dem anderen offenbar nichts Ungewöhnliches auf.

Wir brauchen Seine Majestät doch nicht. Ich kann es dir auch angenehm machen.“

War das der Plan gewesen? Ihn hier zu entehren? Die Worte des Eunuchen verwirrten Sekka sehr. Allen Eunuchen, die im Inneren Palast arbeiteten, wurden die Genitalien entfernt. Erst wenn sie zu keiner körperlichen Reaktion mehr imstande waren, erlaubte man es ihnen, den Konkubinen zu dienen.

War diese Mann etwa kein echter Eunuch? Hatte er sich in den Harem eingeschlichen und nur vorgegeben einer zu sein? Als Sekka noch darüber nachdachte, wie absurd und seltsam diese Situation doch war, tauchte die Hand des Mannes unter seinen Gürtel.

Er wäre geliefert, wenn jemand seinen Körper sah! Sekka nutzte seine Beine, mit denen er noch ein bisschen Bewegungsspielraum hatte, und begann sofort nach ihm zu treten. Er traf mit der Schuhspitze sauber das Schienbein des Mannes und der Eunuch schrie vor Schmerz.

„… Da ist die Ehrwürdige Gemahlin aber auch wirklich ein hoffnungsloser Fall! So schlechte Manieren!“ Der Eunuch hob den Kopf und nun loderte die Wut in seinen Augen. Sekkas Attacke hatte die sadistische Ader dieses Mannes scheinbar nur noch mehr angeheizt. „Oder mag sie es etwa, bestraft zu werden?“

Der Eunuch zog wieder das kleine Messer, das er für den Moment zur Seite gelegt hatte, hervor und stieß es nun gleich vor Sekkas Hals hinab. Furchtbare, kleine Nadelstiche des Schmerzes prickelten auf seiner Haut.

Wenn du brav bist, werde ich dich nicht schlecht behandeln.“

Der Mann leckte sich über die Lippen und drückte die Schneide des Messers an die Stelle, wo sich die zwei Hälften von Sekkas Obergewand im Kragen trafen. Sekka konnte nicht mehr länger nach ihm treten, da seine beiden Beine nun fest vom Körpergewicht des Mannes zu Boden gepresst wurden!

Das war nicht gut!

Man würde seine wahre Identität enthüllen! Voller Abscheu und Angst presste Sekka fest die Augen zu. Aus irgendeinem Grund tauchte vor seinen geschlossenen Lidern das Bild von Kishoh aus der Schwärze auf.

Was tust du hier?!“

Hinter ihm erklang eine laute, männliche Stimme. Es war eine Stimme, die er kannte. Als Sekka unbewusst die Augen öffnete, verschwand das Gewicht des Eunuchen, der sich bis jetzt noch über ihn gelehnt hatte. Man hatte ihn heftig nach hinten gestoßen. Er fiel und prallte in eine Säule hinein. Durch Sekkas Kopf schoss der absurde Gedanke, dass das irgendwie klang, als hätte man gerade einen Frosch zerquetscht – und schon regte sich der Mann nicht mehr.

Hmpf! Das ist die Strafe, dass du meinen Namen missbraucht hast!“

Kouki spuckte voller Abscheu auf den Boden und steckte dann sein geliebtes Schwert zurück an seine Hüfte. Es schien, als habe er es irgendeine geschafft, den Eunuchen im Kampf zu schlagen. Und dabei hatte er noch nicht einmal sein Schwert ziehen müssen, sondern nur die Scheide benutzt. Dieser normalerweise so reservierte Mann hatte gerade eine ganz andere Seite von sich gezeigt und nun sah man den Ausdruck seltener Wut auf seinem Gesicht.

Verzeiht, dass ich so spät erst komme, Ehrwürdige Gemahlin Li.“

Kouki war hier? Gerade hatte man seinen Namen noch benutzt, um Sekka in diese Falle zu locken. Kouki sank auf die Knie und half Sekka auf, während dieser noch die jüngsten Ereignisse verdaute. Kouki entfernte das Stück Stoff, das Sekkas Arme zusammen band – und auch den Knebel – und führte ihn dann auf sehr galante Art zu einem Stuhl.

Leider wurde die schöne Haut der Ehrwürdigen Gemahlin verletzt… ich hoffe, es wird keine Narbe bleiben“, meinte Kouki mit einem leichten, mitleidigem Stirnrunzeln, als er auf Sekkas Hals blickte. Es tat nicht sehr weh, doch wie zu erwarten gab es dort einen Schnitt.

Als Kouki Sekkas Hals begutachtete, fiel diesem endlich auf, wie verrutscht sein Kragen war. Sekkas Hände waren immer noch taub, als er sich vorsichtig die Kleider richtete. Kouki wandte gelassen den Blick ab und gab vor, als hätte er nichts gesehen.

Gleich neben ihnen lag der Anführer dieser Eunuchentruppe bewusstlos am Boden. Selbst als Kouki ihn fesselte, wachte er nicht auf.

Ahh… Warum…? Meine Dienerinnen…!“

Standen Shohen und Baigyoku noch immer sicher im Korridor? Inzwischen hatte sich das Zittern in Sekkas Gliedern wieder beruhigt, aber noch immer gab es einen gigantischen Haufen Fragen, die er stellen mussteauch wenn sich die Worte überschlugen.

Obwohl sein Gestammel wenig Sinn ergaben, schien Kouki Sekkas Gefühle richtig zu deuten und er antwortete: „Eure Dienerinnen sind in Sicherheit. Die Eunuchen im Korridor wurden von Eishuns Leuten gefangen genommen.“

Kaum hatte er das gehört, wich jede Stärke aus Sekkas Körper – er war zu erleichtert.

Kouki lächelte ihm aufmunternd zu, als er die Erleichterung auf seiner Miene sah. Doch gleich schon änderte sich sein Gesichtsausdruck vollkommen und er wandte sich grimmig dem Eunuchen zu seinen Füßen zu. Er versetzte ihm mit seinem Schuh einen Stups.

Im Gegensatz zu Eishun habe ich dieser Gruppe an Eunuchen jetzt schon eine ganze Weile lang observieren lassen. Vor allem diesen Say Bunsei hier. Er ist ein Eunuch, der eine ziemlich zwielichtige Vergangenheit hatte. Die Gerüchte, dass er sich den Dienerinnen gegenüber oft anmaßend verhalten hatte, wollten einfach kein Ende nehmen.“

Auch unter den Eunuchen wurde die Kastration nicht immer korrekt ausgeführt – und offenbar gab es auch solche, deren Körperfunktion davon nicht eingeschränkt worden waren. Dieser Say war scheinbar einer dieser Leute. Sekka war zutiefst angewidert – er vermutete, dass dieser Mann vorgehabt hatte, ihn zu vergewaltigen.

Eishun wurde durch einen Bediensteten darüber informiert, dass sich diese Gruppe seltsam verhielt. Und da ich ihm auch befohlen hatte, mich ebenfalls über solche Fehltritte zu unterrichten, sind wir gleich herbeigeeilt.“

Es fühlte sich ein bisschen seltsam an, dass der Oberste Haushofmeister sich auch mit Meinungsverschiedenheiten der Eunuchen befasste, aber wahrscheinlich gab es dafür einen Grund. Sekka vermutete, dass auch das mit dem Machtgefüge des Kaiserlichen Hofes zusammen hing. Weil man ihn über solche Dinge nicht aufklärte, war er völlig unwissend.

Doch selbst wenn … was genau hatte dieser Say mit dieser Tat erreichen wollen? Er hatte sich Eishuns Befehlen widersetzt … Wollte er Eishun bloßstellen, sodass er bestraft werden würde, weil er die Verantwortung für die Verwaltung und innere Sicherheit des Harems trug? Wollte er, dass Eishun seinen Posten verlor? Oder wollte er vielmehr, dass Sekka selbst in Ungnade fiel?

Und sowieso war es ungewiss, ob diese Szene wirklich von Say alleine geplant worden war. Genau wie bei den unzähligen, bisherigen Belästigungen war die Wahrscheinlichkeit, dass die alles von einer der anderen Konkubinen eingefädelt worden war, ziemlich hoch.

Es wäre besser gewesen, wenn ich eher gekommen wäre, aber ich hätte nicht erwartet, dass dieser Mann wirklich versuchen würde, der Ehrwürdigen Gemahlin gleich im Inneren Palast solche Gewalt anzutun… Dies war mein Fehler. Es tut mir schrecklich leid, dass er Euch eine Wunde zugefügt hat.“ Koukis schönes Gesicht verzog sich schmerzhaft vor Scham, dass er es nicht geschafft hatte, diesen Vorfall komplett zu verhindern. Er kniete vor Sekka nieder und ließ den Kopf sehr tief hängen.

Aber…“, protestierte Sekka. Das war nicht fair. Er sollte es doch vielmehr sein, der Kouki danken müsste, dass er ihn gerettet hatte – anstatt sich der andere bei ihm entschuldigte! Wenn Kouki und Eishun nicht bemerkt hätten, dass hier etwas Ungewöhnliches vor sich ging, dann hatte Sekka keine Ahnung, was inzwischen mit ihm passiert wäre. „Bitte erhebt euch, mein Herr. Ich…“

Doch gerade, als Sekka seine Hand dem knienden Kouki entgegen streckte, fühlte er einen stechenden Blick auf sich ruhen. Verwirrt hob er den Kopf. Als er über Koukis Schulter sah, erblickte er Kishoh, wie er gefolgt von Eishun auf sie zu marschierte.

Kouki fand es offenbar seltsam, dass Sekka so plötzlich verstummt war. Er folgte Sekkas Blick und sah über seine Schulter. Als auch er Kishoh mit seinem Gefolge bemerkte, zeigte sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen.

Bist du auch endlich gekommen? Ganz schön spät, muss ich sagen.“

Kishoh ging nicht auf Koukis alberne Worte ein. Stattdessen richtete er seinen ernsten Blick einzig und allein auf Sekka.

War er nun gekommen, weil er sich schuldig fühlte, dass ein Eunuch eine solche Attacke durchgeführt hatte – oder aber weil es ihn selbst zu sehr überrascht hatte? Auf dem Gesicht dieses Mannes, das er so beängstigend gut unter Kontrolle bringen konnte, zeigte sich keine Regung, und so konnte Sekka auch nicht erraten, was er gerade denken mochte. Doch selbst er konnte spüren, welches Gefühl wie in Wellen Kishohs ganzen Körper umwirbelte: Es war rasende Wut.

Ruft einen Arzt. Die Ehrwürdige Gemahlin wurde verletzt.“ Während er noch unterschwellig hörte, wie Kouki den Befehl an Eishun weitergab, wurde Sekka von Kishohs gefrierenden Blick durchbohrt und er traute sich nicht mehr, auch nur die kleinste Bewegung zu machen.


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Kowtow: Eine sehr unterwürfige Art der Verbeugung, bei der der Betreffende auf die Knie geht und die Stirn vor den Beinen auf den Boden drückt


Sandas Gedanken zum Text
Puh, das ging ja gerade noch mal gut aus! Ich hab echt Blut und Wasser geschwitzt, als ich das Kapitel das erste Mal gelesen habe! Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert. Und warum die grimmige Miene, Kishoh? Sei froh, dass Kouki Sekka noch rechtzeitig retten konnte – sonst säßest ihr beide viel tiefer in der Patsche!
Jetzt erklärt sich auch meine (selbst gewählte) Überschrift für das Kapitel :)
Und übrigens schon wieder ein Personenname, zu dem es ein ähnlich klingendes Gegenstück am Anfang der Geschichte gegeben hat: Der Soldat, der in Kishohs Lager Sekkas Identität als Prinzessin Shungetsu bestätigt hatte, hieß „Sai“ – und tatsächlich hieß dieser Eunuch auch „Sai“, aber ich habe das dann in „Say“ umgeändert – wird ansonsten zu verwirrend xD


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3 Kommentare:

  1. es ist schön das der kleine und sekka sich gut verstehen und er in fast wirklich als seine mutter sieht. aber das diesmal sowas passiert hätte ich nicht gedacht. sekka wäre fast wenn es dieser mistkerl geschafft hätte entblöst worden und hätte in in der hand aber so konnte das übel noch abgewändet werden. kisho ist wütend was passiert ist. irgendwie hab ich das gefühl das kisho nach dem arzt selber schauen wird ob sekka auch wirklich nicht mehr verletzt worden ist auf seine weise.

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    1. Haha, da kennst du Kishoh schon ganz gut. Ärzten ist ja auch nicht zu trauen - lieber selbst eine Diagnose fällen!

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  2. Dieser Überfall ist wirklich merkwürdig, ich bin gespannt, was und wer da dahinter steckt, aber armer Sekka, nirgends ist er wirklich sicher

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