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„Ach je, was für eine Art Geheimgespräch haben denn diese zwei Schönheiten hier?“
Als Sekka den Kopf hob, sah er, dass der Obersten Haushofmeister Ryuu Kouki zu ihnen gestoßen war. Eishun eilte ihm nach – mit einer unerwartet angespannten Miene.
„Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen, Kouki-sama“, erwiderte die Gesegnete Gemahlin Bu den Gruß. Selbst als sie nun dem Obersten Haushofmeister gegenüberstand, vor dem sich jeder Regierungsbeamte fürchtete, da er auch der Chef des Zensorates war – jener Behörde, die allen Ungehörigkeiten bei Hofe auf den Grund ging – wirkte die Gesegnete Gemahlin Bu nicht beunruhigt. Sie lächelte nur hold und bewegte elegant ihren Fächer.
„Auch ich wünsche der Gesegneten Gemahlin Bu in vollstem Respekt einen guten Morgen. Ihr seht heute wieder so schön aus, dass man Euch mit einer göttlichen Nymphe verwechseln könnte“, pries Kouki die Gemahlin Bu überschwänglich. Auch wenn sie natürlich wusste, dass das nur Schmeicheleien waren, so schienen ihr die Komplimente von einem so gutaussehenden Mann wie Kouki zu gefallen und ihre Miene entspannte sich.
„Mit Worten seid Ihr so geschickt wie immer. Wahrscheinlich sagt Ihr diesen Spruch auch zu jeder anderen Konkubine?“
„Ich bin doch so ein Langweiler, wie könnte ich da jede Dame preisen? Mir sind einfach nur meine wahren Gefühle aus dem Munde entschlüpft.“
Hinter Kouki, der seinen Kopf nun theatralisch schüttelte, machte Eishun ein saures Gesicht. Sekka wusste, dass Kouki von Kishoh höchstpersönlich die Erlaubnis erhalten hatte, auch die Vorkommnisse des Inneren Palastes zu untersuchen – doch Eishun konnte es offenbar nicht gut heißen, wenn der Oberste Haushofmeister einfach so den Harem betrat. Eindeutig bereitete er sich innerlich auf die Möglichkeit vor, dass sich dieser gutaussehende Mann mit seinen gedankenlosen Worten und seinem albernen Verhalten einen Fehltritt bei den Konkubinen leisten würde – oder sich vielleicht sogar noch in das Management des Harems einmischte.
Sekka allerdings war froh, dass die Hauptaufmerksamkeit der Gesegneten Gemahlin Bu jetzt auf jemand anderem lag – und er sah aufmerksam dem weiteren Geschehen zu.
„Ich vermute, das bedeutet, dass Ihr gerade nicht hier seid, um mich zu sehen?“
„So ist es. Ich fürchte, die Arbeit hat mich heute her verschlagen.“
Bei Koukis Anspielung, dass er in seiner Tätigkeit als Oberster Haushofmeister gekommen war, huschte kurz die Sorge über das ovale Gesicht der gesegneten Gemahlin Bu. Allerdings verbarg sie es augenblicklich wieder unter einem tadellosen Lächeln.
„In diesem Fall sollte ich Eure Arbeit nicht weiter behindern. Wenn Ihr mich nun entschuldigt – ich gehe.“
„Ein ander’ Mal gerne. Ich freue mich, Euch mal wieder zu treffen.“ Auch diesen Abschiedsgruß erwiderte Kouki mit einem fröhlichen Lächeln und er ließ die Gemahlin Bu durch, als sie still ihren Rückzug antrat. Nachdem sie mit ihrem Gefolge außer Sicht war, änderte sich sein Verhalten schlagartig. „Diese Frau“, murmelte Kouki mit deutlichem Staunen und er schüttelte den Kopf. „Wie immer ist ihre Schminke wohl mehrere Millimeter dick. Und ihr Geschmack in der Parfumwahl ist auch nicht gerade der beste…“
„Kouki-sama“, fuhr ihm Eishun dazwischen – ein deutlicher Tadel für diese scharfen Worte.
Doch Kouki schien sich keiner Schuld bewusst zu sein und antwortete nur mit einem: „Was? Es ist doch war.“ Dann warf er Sekka, der noch immer einfach da stand, ein schalkhaftes Grinsen zu. „Meint die Ehrwürdige Gemahlin denn nicht auch?“
Auch wenn Sekka genauso dachte, so durfte er ihm doch nicht zustimmen. Und so senkte er nur scheu den Blick, als hätte Kouki ihn verwirrt.
Wie man vom Namen Ryuu Kouki schon vermuten konnte, war er Teil der Kaiserfamilie Ryuu und Kishohs zweiter Cousin. Die Kaiserfamilie war sehr groß, doch dies war der einzige Mann, der Kishohs Namen aussprach, ohne dabei einen Ehrentitel nachzustellen. Obwohl Kouki sich auch schon einmal gegen Kishoh gewandt hatte, hatte man ihm nicht zum Tode verurteilt.
Einige Jahre zuvor war er mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattet worden – wie zum Beispiel dem Amt des Obersten Haushofmeisters und Zutritt zum Inneren Palast. Kishoh schien ihm wirklich aufrichtig vertraut zu haben. Doch als es dann vor wenigen Jahren einen Streit um den Thron gegeben hatte, hatten sie beide zu gegnerischen Lagern gehört und sich oft im Kampf gegenüber gestanden.
In der letzten Entscheidungsschlacht hatte Kouki seine eigenen Soldaten als Heerführer angeführt, doch er hatte gegen Kishoh verloren und war vor ihm auf die Knie gesunken. Zu diesem Zeitpunkt hatte er eine Verletzung am rechten Auge davon getragen und war nun zu einem Einäugigen geworden – wie Kouki selber gerne sagte.
„Allerdings hat Kishoh danach nur die Absicht gehabt, mich mit harter Arbeit zu bestrafen und mich kniend zu seinen Füßen zu wissen. Kishoh ließ mich leben und nahm mir nur ein einziges Auge. Wirklich – dieser Mannes ist so verdreht!“
Als Sekka mit ihm einmal über die Umstände gesprochen hatte, wie er Kishohs Oberster Verwalter geworden war, hatte Kouki zwar geflucht, aber nicht gewirkt, als würde er einen großen Groll gegen Kishoh hegen. Allerdings konnte Sekka nicht sagen, wie er wirklich über diese Sache dachte.
Er war ein Jahr älter als Kishoh und ihre Erscheinung war sich so ähnlich, wie sie es nur bei Blutsverwandten sein konnte. Ihre Züge – die Augen und Nasen – glichen sich sehr, doch beide lösten in den Leuten völlig gegenteilige Gefühle aus.
Kishoh überwältigte seine Mitmenschen und im Gegensatz dazu gab Kouki jedem ein aufheiterndes und munteres Gefühl. Während Kishohs Haar und seine Augen an eine pechschwarze Finsternis erinnerten, wirkten die von Kouki eher bläulich-violett und hatten einen helleren Farbstich.
Sein Umgang mit anderen war sehr sozial – daher sprach er auch immer recht offen mit Sekka. Es war schmerzhaft, auf die Augenklappe vor seinem rechten Auge zu blicken – doch andererseits verlieh sie seinen anmutigen Zügen auch einen wilden Touch.
„Doch wie denn auch sei… hat die Gesegnete Gemahlin Bu Euch nicht etwas mitgeteilt?“
„… Nichts, was es wert wäre, wiederholt zu werden“, beantwortete Sekka Koukis Frage ausweichend. Dieses Ausmaß an Feindseligkeit war nicht ungewöhnlich und er wollte vor niemanden petzen. Tatsächlich beunruhigte es ihn eher, dass Kouki zu so einem günstigen Zeitpunkt aufgetaucht war. Auch bei Sekkas anderen Begegnungen mit der Gemahlin Bu war Kouki einfach so zufällig vorbei gekommen und hatte ihm gerade rechtzeitig seine Hilfe angeboten.
Allerdings sprach Baigyoku, deren Geduld wohl schon zu lange strapaziert worden war und die den großen Knoten der Wut in sich nicht mehr ignorieren konnte, an Sekkas Stelle: „Sie war wie immer unausstehlich. Sie hat zum Beispiel gesagt, dass wohl hundert Jahre verstreichen müssten, ehe Shungetsu-samas Trauerzeit um ihre Familie vorbei wäre – oder bis wann sie denn wohl den Kleidungsstil von Ka zu tragen gedenke!“
Auch Shohen machte nun den Mund auf: „Das einmal beiseite gelassen: Während sich die Ehrwürdige Gemahlin im großen Turm aufgehalten hatte, scheint jemand den abgeschlagenen Kopf eines Huhns auf den Weg gelegt zu haben.“
„Sagtest du gerade der Kopf eines Huhns?“ Eishuns Miene änderte sich sofort. Der andere junge Eunuch, der Sekka und seine Dienerinnen begleitete, erklärte ihm, was geschehen war – und Eishuns Gesicht verdüsterte sich noch mehr.
„Ein Hühnerkopf… Schon wieder treiben sie solch dumme Scherze?“ Kouki seufzte angesichts dieser Geschichte. Von seiner Redensart und seinem Verhalten hätte man bis jetzt meinen können, dass Kouki keinerlei Interesse an Macht oder Status hatte. Solche Dinge wie Machtkämpfe schien er für eine einzige, dumme Zeitverschwendung zu halten. Es grenzte an ein Wunder, dass er in die Königsfamilie hinein geboren worden war und einmal wirklich mit Kishoh um den Thron gekämpft hatte. „Dass wir ausgerechnet der Gesegneten Gemahlin Bu über den Weg gelaufen sind, kurz nachdem dieser Hühnerkopf gefunden wurde… ist wirklich Pech.“ Sekka wusste nicht, wie er darauf antworten sollte, aber Kouki wandte sich auch schon mit grimmigen Blick an Eishun. „Das konnte nur geschehen, weil Ihr den Täter noch nicht erwischt habt.“
„Verstanden.“ Eishun biss sich fest auf die Lippen. Da sich Eishun ganz seinen professionellen Aufgaben verpflichtet hatte, war er sich der eigenen Verantwortung an dem Vorfall sehr wohl bewusst – ohne dass Kouki es hätte betonen müssen.
Seit Sekka von Kishoh gefangen worden war, hatte Eishun die Aufgabe übernommen, für ihn und seine Bediensteten zu sorgen – und er war ihr auf verschiedenste Weise nachgekommen. Sekka selbst fand ja, dass seine Fürsorge die Grenzen der Pflicht schon überstieg. Und als er nun sah, wie sehr Kouki auf Eishun herabsah und er ihn tadelte, empfand Sekka Mitleid für den Eunuchen und nahm ihn in Schutz: „So ein Hühnerkopf ist doch keine große Sache.“
„Oha, offenbar hatte die Ehrenwerte Gemahlin ja richtig Schneid. Erstaunlich...“
Sekka hatte versucht, Eishun zu beschützen, doch als er nun sah, wie Kouki seine Augenbrauen überrascht hob, bereute er sein unangebrachtes Verhalten. Wahrscheinlich ziemte es sich nicht für eine Prinzessin, so etwas zu sagen.
Er hatte sich von Koukis beschwingter und lockeren Redensart und seinem ungezwungenen Verhalten täuschen lassen – die Wahrnehmung dieses Mannes war in keinster Weise schlechter als die von Kishoh. Sekka musste vorsichtiger sein, wenn er nicht wollte, dass jemand Verdacht schöpfte.
„Ehrenwerte Gemahlin“, sagte Eishun, der nun plötzlich den Kopf hob und Sekka ansah, „ich entschuldige mich, dass ich es zugelassen habe, dass Ihr etwas so Unangenehmes zu Gesicht bekommen habt. Wir werden den Schuldigen auf jeden Fall fassen, also bitte vergebt uns für diesen Zwischenfall.“
„… Ich danke Euch.“ Bei dem Schuldigen handelte es sich höchstwahrscheinlich nicht nur um eine Einzelperson – daher bezweifelte Sekka, dass diese Streiche aufhören würden, selbst wenn sie jemanden fassten. Dennoch dankte er Eishun mit leiser Stimme, da er fühlen konnte, wie ernst dem Eunuchen die Sache war. Er dankte ihm, selbst wenn er im Stillen dachte, dass dieses Mobbing endlos weiter gehen würde.
„Allerdings müssen wir uns jetzt entschuldigen“, ließ Sekka sie noch wissen, wobei er seinen Mund hinter seinem Ärmel verbarg und eine möglichste weibliche Geste imitierte.
Sekka konnte Koukis Blick immer noch auf sich spüren, als er gefolgt von Shohen und dem Rest davon ging.
„Wie ich hörte, hast du Kouki getroffen.“ Das war das Erste, was Kishoh von sich gab, als sie sich in dieser Nacht trafen.
Sie waren im Schlafgemach der kaiserlichen Residenz – dem Shibi-Hof. Ein Raumteiler war um das Bett herum drapiert und schützte es vor jedem Blick.
Eigentlich bestand der Brauch, dass die Eunuchen dem Liebesakt des Kaisers bezeugten und ihm währenddessen gar ihre Hilfe anbieten konnte. Wenn Kishoh allerdings Sekka zu sich beorderte, verwehrte er jedem Eunuchen den Einlass – ohne Ausnahme.
Natürlich tat er das nur, damit niemand erfahren würde, dass Sekka keine Frau war. Doch die Eunuchen schienen die Tatsache, dass er mit den Bräuchen brach und nicht wünschte, dass die Augen von irgendjemand sonst seine Ehrwürdige Gemahlin Li erblickten – zusammengenommen mit der Tatsache, dass er Sekka so gut wie jeden Tag zu sich bestellte – so zu interpretieren, dass der Kaiser offenbar tiefe Gefühle für sein neues Haremsmitglied hegte. Zumindest ging das aus den Gerüchten im Palast hervor.
„Ich habe ihn auf einem Spaziergang getroffen“, sagte Sekka, wobei er sich schon innerlich wappnete. Er konnte an Kishohs Tonfall hören, dass er Sekka für irgendwas verurteilte.
Ganz egal wie, aber Sekka merkte, wie nervös er wurde, als er Kishoh ansah, der sich von dem Bett erhoben hatte; nur in sein Nachtgewand gekleidet. Obwohl er in seinem Herzen nichts als Abneigung empfand, staute sich in seinen Eingeweiden ärgerlicherweise bereits ein Gefühl der brennenden Hitze an. So weit es Sekkas Kopf betraf, war der ganze Liebesakt immer einfach nur unangenehm, doch sein Körper wartete schon voll freudiger Erwartung auf das bald folgende Vergnügen.
„Du scheinst verärgert zu sein“, meinte er.
„… mhhm.“
Plötzlich ergriff Kishoh Sekkas Kinn und Sekka fragte sich, ob er dieses leise Murmeln überhaupt gehört hatte. Ein stürmisches Augenpaar, das im Kerzenlicht zu glühen schien, durchbohrte ihn. Sekka spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, doch er gab sich alle Mühe, seine Miene ausdruckslos zu lassen.
„Was denn? Hast du etwa gehört, dass ich es Meister Kouki persönlich gestattet habe, im Harem ein- und auszugehen?… Ich tat es, da seine Pflichten als Oberster Haushofmeister es nötig machen, dass er auch Zugang zu den intimeren Gemächern hat.“
Die Finger gruben sich so tief in Sekkas Wange, dass es schmerzte – eindeutig ein Zeichen von Kishohs Wut. Es sah diesem Mann gar nicht ähnlich, seine Gefühle so offen zu zeigen – normalerweise war er immer ruhig und beherrscht.
Allerdings verstand Sekka nicht, was der Grund für Kishohs Ärger war. Von Anfang an war er ein Mann gewesen, der sich völlig Sekkas Verständnis entzogen hatte.
„Gibt es da nichts weiter, was du mir mitteilen möchtest?“
Da er nun wusste, dass Sekka Kouki getroffen hatte, war er gewiss auch über den Vorfall mit dem Hühnerkopf informiert worden. Es gab keinen Grund, anzunehmen, dass Eishun das verschwiegen hätte.
„Ich dachte, du wüsstest es schon.“
„Hmmm“, schnaubte Kishoh belustigt und nahm seine Hand von Sekka. „Ich hörte, dass jemand den Kopf eines Huhns auf den Weg gelegt hat, während du dich im Großen Turm aufhieltest.“
„Wahrscheinlich ist er einfach nur irgendwo runter gefallen.“ Sekka dachte zwar auch, dass man ihn absichtlich dort platziert hatte – doch das hieß nicht, dass dies ein Tatort wäre. Sekka wollte solche Spekulationen lieber vermeiden.
„Wie naiv du doch bist. Du denkst wirklich, es sei einfach nur ein dummer Scherz?“
„Wenn es kein dummer Scherz war, was meinst du, war es dann?“, fragte Sekka ihn unbedacht. In Kishohs Tonfall lag deutliches Erstaunen, wie Sekka so unwissend sein konnte und nicht verstand, wie die Welt funktionierte – und Sekka wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Er fragte sich auch, wer denn am Ende eigentlich daran schuld war, dass er im Harem so unnötig viel Aufmerksamkeit auf sich zog und sich die Eifersucht der anderen Konkubinen so gesteigert hatte. „Mein Körper ist für dich etwas Neues, daher bin ich wahrscheinlich auch ein interessanter Zeitvertreib. Doch irgendwann wirst du das Interesse an mir verlieren.“
Für Kishoh mochte die ganze Situation ja spaßig sein, aber Sekka konnte das nicht nachvollziehen. Allerdings antwortete ihm Kishoh nur mit einem verwegenen Grinsen: „Du redest wohl gerade von der Tatsache, dass du keine Kinder kriegen kannst.“ Sekkas Wangen wurden ganz heiß bei diesem Seitenhieb. Wenn Kishoh Kinder haben wollte, sollte er dann nicht lieber mit anderen Konkubinen schlafen? Doch ehe Sekka entrüstet den Mund aufmachen konnte, fuhr Kishoh auch schon fort: „Ich habe bereits drei Prinzen, das genügt. Zu viele würden in Zukunft nur Probleme schaffen.“
Sekka blinzelte überrascht. Einmal vom Hungertod abgesehen konnte die herrschende Klasse auch gängigen Krankheiten nicht entkommen. Wenn sich einmal eine üble Seuche ausbreiten würde, wären die ersten Opfer die kleinen Kinder, die noch keine Abwehrstoffe hatten. Wenn man es aus diesem Standpunkt betrachtete, so fand Sekka, dass drei Prinzen keineswegs schon zu viel waren, aber Kishoh glaubte offenbar, dass er nicht noch mehr bräuchte.
Aus Sicht eines Beobachters schien Kishohs Interesse an Kindern recht begrenzt zu sein. Bei diesem Mann zweifelte Sekka sogar, dass er wirklich väterliche Zuneigung verspüren konnte – ein Gefühl, was den meisten Menschen vertraut war.
„Egal was es nun wirklich ist… wenn du alles so leichtsinnig als einen dummen Scherz abtust, wird die Situation schnell eskalieren – bis zu einem Punkt hin, von dem du dich nicht mehr erholen kannst. Hinter den Rücken der Konkubinen ergehen sich ihre Familien in Spekulationen. Ich spreche hier nicht nur von der Eifersucht dieser Frauen. Der Kaiserliche Regierungshof und der Kaiserliche Harem sind zwei Seiten derselben Münze. Das ist auch der Grund, warum ich es Kouki gestatte, den Inneren Palast zu betreten.“
Für Sekka, der in einem Land ohne Harem aufgewachsen war, lag das außerhalb jeder Vorstellungskraft. War der Wettstreit zwischen den Konkubinen um die Gunst des Kaisers so schlimm? In Ka hatten die Minister unter Yougetsu auch miteinander gewetteifert, doch das hatte nie in wirklich schlimmen Machtstreitigkeiten gemündet.
Allerdings hatte Sekka – dank der unzähligen bösen Streiche und dem Verhalten der Konkubinen – schon erkannt, dass in dem Mobbing der Frauen eine böse Note lag. Hinter dem Glanz des Inneren Palastes lauerte tiefschwarzer Hass und bodenlose Eifersucht.
„Ich frage mich tatsächlich, ob nicht auch schon jemand getötet worden ist…“
Sekka war überrascht. Er hob den Kopf und sah, dass sich Kishohs Augen direkt auf ihn gerichtet hatten.
„Eine Dienerin ist gestorben, ehe Eishun sie befragen konnte. Offiziell wurde das als Selbstmord abgetan, doch in Wahrheit war ihr Tod ziemlich verdächtig.“
„Dann willst du damit sagen, dass sie ermordet worden ist?!“
Die Dienerin Qu, die sich selbst getötet hatte, gehörte zu den Wäschefrauen, die sich um die Kleider und Accessoires für die Konkubinen und Beamten kümmerten. Die Wäscherei war eine der Sechs Abteilungen, die mit der interne Verwaltung des Harems betraut worden waren.
„Sie hatte einen ganzen Berg an Spielschulden angehäuft. Die Summe, die sie ihren Kollegen im Kartenspiel schuldete, entsprach etwa drei ihrer Jahresgehälter. Doch wie ich hörte, hat sie vor diesem Zwischenfall alles zurück gezahlt. Was noch dazu kam: Sie hat auch Geld an ihre Familie geschickt, die im Handel tätig ist. Woher dieses Geld stammt, ist nicht weiter bekannt.“
Das hörte Sekka zum ersten Mal. Wahrscheinlich hatte Eishun das auf eigene Faust untersucht. Ein dreifaches Jahresgehalt… für eine einfache Dienerin war es nicht leicht, an so eine Menge Geld zu kommen.
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass jemand hinter dieser toten Dienerin die Fäden gezogen hat. Und es wäre nicht seltsam, wenn diese Leute auch versuchen würden, dich zu töten.“
Kishohs Tonfall war nun sehr ernst geworden, so als versuche er Sekka einzuschüchtern.
Selbst als Sekka nun hörte, dass jemand dort draußen war, der ihn wahrscheinlich töten wollte, so blieb er innerlich seltsam ruhig. Wahrscheinlich lag das daran, dass er schon seit dem Untergang von Ka auch mit dem eigenen Tod gerechnet hatte. Tatsächlich fühlte er nun das genaue Gegenteil von Angst und ihm kam plötzlich ein verzweifelte Gedanke: Wenn er sich nun nicht selber tötete, sondern stattdessen von jemanden ermordet werden würde, so könnte Kishoh sich deswegen nicht an Shohen und Beigyoku oder den gefangenen Soldaten rächen. Er würde wohl auch nicht Sekkas Leiche zur Schau stellen. Tatsächlich wäre es für Kishoh ja nur selbst eine Schande, wenn herauskommen würde, dass er jemanden wie Sekka zu seiner Frau genommen hatte!
So ironisch es auch klingen mochte, so war der Tod durch die Hand eines anderen der einzige Weg, wie er aus der jetzigen Situation entkommen konnte. Bis jetzt war sich Sekka gar nicht mal dessen bewusst geworden, doch der Gedanke an das immer weiter andauernde Mobbing und das Übel, das ihm von einer unbekannten Quelle entgegen schwappte, hatte stark an seinen Kräften gezehrt und er war das alles leid geworden.
„… Wenn dies mein Schicksal ist, kann man wohl nichts dagegen machen.“
„Selbst wenn du dann nicht mehr deine Rache an mir nehmen könntest?“
Hatte er ihn durchschaut?
Bei diesem Gedanken ballte Sekka seine Hände, die bis jetzt noch locker auf seinem Schoß lagen, zu festen Fäusten. Kishohs Blick bohrte sich in die Gesichtshälfte, die der Schleier verdeckte.
„Als du das erste Mal gegen mich ausgeholt hast, lagen in deinen Augen so tiefer Hass und Abneigung… Solche Gefühle kann man nicht einfach abwerfen.“
Sekka verbarg den Schock, dass Kishoh mit dieser Annahme richtig gelegen hatte, in einer zynischen Antwort: „Und obwohl das so ist und weiterhin die Möglichkeit bestünde, dass ich dich im Schlaf ermorden könnte, hast du mich trotzdem so nah an deiner Seite behalten. Auch sehr verschroben.“ Er glaubte nicht, dass er diesen Mann damit wirklich beunruhigen konnte – obwohl Kishoh sonst nicht so nachlässig war.
„Ich sagte doch schon, dass ich mir das, was ich möchte, auch nehmen werde. Seien es nun Gegenstände oder Menschen.“
In dem erlöschenden Kerzenlicht tanzte in Kishohs Augen ein mattes Glimmen.
Etwas zu begehren bedeutete nicht immer, dass man es auch mögen würde. Für diesen Mann war Sekka nur ein seltenes Ding – ähnlich wie ein weißer Pfau, dem man mal als Geschenk bekommen hatte, oder ein weißes Reh oder eines dieser Kamele, die im Westen heimisch waren. Sekka war ein Mann und gleichzeitig auch wieder eine Frau – und es war nur sein Körper, der etwas Besonderes darstellte.
„Und das Ende ist dann dieser Vogelkäfig hier? Doch egal was du gesagt hast, so ist man auch in diesem Zwinger nicht sicher.“ Er konnte es nicht ertragen, das Gespräch enden zu lassen, ohne nicht zumindest einen Treffer bei diesem Mann zu landen. Selbst wenn er später dann die Strafe für Kishohs verletzten Stolz ernten müsste.
„Selbst wenn das so ist, so kann ich dennoch ruhiger schlafen, wenn ich dich hier weiß als irgendwo dort draußen in der großen, weiten Welt.“ Kishoh wandte sich mit einem sehr ernsten Ausdruck im Gesicht ab. „Ich könnte dir verbieten, dass du je wieder einen Schritt nach draußen setzt… Aber es wäre zu schade, einen Singvogel zu erdrosseln – wenn man so großen Ärger damit hatte, ihn erst mal zu fangen.“
Wahrscheinlich wollte Kishoh mit diesem Vergleich andeuten, dass Sekka vollkommen hilflos war. Das war ärgerlich, aber es stimmte auch. Ohne Kishohs Erlaubnis konnte Sekka noch nicht einmal einen Schritt aus seinen Seika-Hof setzen.
„Aber egal… Sei jedenfalls wachsam bei deiner Umgebung.“ Es lag ein Anflug der Unruhe in Kishohs Stimme. So als würde er sich wirklich um Sekka sorgen. Sekka versuchte, seine wahren Absichten zu ergründen, doch das schwindende Licht malte verschlungene Schatten auf die edlen Züge dieses Mannes – und seine Miene war so schwer zu deuten. „Jedenfalls wenn du nicht auch ermordet werden willst wie meine Mutter.“
„… Hä…?“
Kishoh hatte das mit sehr leiser Stimme gesagt, so als hätte er zu sich selbst gesprochen. Diese Worte überraschten Sekka und sie verwirrten ihn sehr – doch da wurde auch schon sein Arm von Kishoh nach vorn gezogen und dieser Mann ergriff sein Kiefer.
Kishohs Mutter war ermordet worden…?
Ehe er noch um eine Erklärung bitten konnte, wurde seine Frage auch schon schnell von einem Kuss verschluckt. Seine Lippen wurden von derselben Dringlichkeit wie sonst auch aufgestemmt und ihre Zungen umschlangen sich. Kishoh saugte so stark an Sekkas Zunge, dass ihre Wurzel zu schmerzen begann und Sekka nicht mehr normal atmen konnte.
Er wurde auf das Bett hinunter gedrückt und ehe er sich noch wehren konnte, hatte sich Kishoh auch schon über ihn gebeugt. Während Sekkas Kopf wieder abwehrend reagierte, pochte sein Körper im starken Kontrast dazu voller Vorfreude.
„… heeh...huuu…“
Erneut schmolz sein Körper dahin, als Kishoh ihn nun unter Kenntnis all seiner Schwachpunkte liebkoste. Ohne Zweifel würde man in dieser Nacht auch wieder so ausführlich mit ihm spielen, bis er das Bewusstsein verlor. Während er wieder in die tiefsten Abgründe des Behagens hinab gerissen wurde, bohrten sich die Worte, die Kishoh zuletzt gesagt hatte, wie Dornen in Sekkas Brust.
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Zensorat: Eine hochrangige Behörde, die alle Staatsbediensteten überwachte und kontrollierte. Sie prüfte auch die Leistungen von zivilen und militärischen Beamten und bestrafte jedes Fehlverhalten – insbesondere Korruption, Unsitte und Rechtsbeugung. Sie durfte selbst den Kaiser kritisieren.
Zutritt zum Inneren Palast: Außenstehenden war der Zutritt zu den Wohngemächern des Kaisers und seiner Familie (inklusive der Mätressen) untersagt – ausgenommen war das Palastpersonal. Vor allem Männer durften den Harem nicht betreten, daher arbeiteten dort auch nur Dienerinnen und Eunuchen.
Sandas Gedanken zum Text
Ach, Sekka, kannst du die leisen Anspielungen nicht erkennen? Du bist Kishoh keineswegs gleichgültig! Und man sieht doch auch an der Sache mit seinem Cousin Kouki, dass er kein Herz aus Stein hat. Er... zeigt das halt nur nicht so gut.
Ja, die glitzernde Welt des Inneren Palastes sieht von innen schon ganz schön düster aus. Sekka, wir wünschen dir viel Kraft und ein dickes Fell gegen diese üblen Streiche!
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Habe mir auch gleich gedacht, dass er dann doch schnell menschlicher geworden ist. Durch die Eifersucht und die Sorgen.
AntwortenLöschenSchon besser ^^
Ja, er ist zwar der Kaiser und "nimmt sich, was immer ihm gefällt; egal ob Dinge oder Menschen", aber Kishoh öffnet sich auch langsam. Und in der Zwischenzeit haben sie beide noch etwas an ihren Lebensumständen zu knabbern ^^
LöschenArmer Sekka, ist so verloren und weiß sich nicht zu helfen und ist so Kishoh völlig ausgeliefert
AntwortenLöschendas erstaunt mich aber das kisoh obwoll er sich alles nimmt doch um sekka sich sorgt auf seiner weise. kisho hat recht sekka ist naiv er merkt nicht mal das er in mag er sieht sich slbst als etwas seltenes womit kisho spielen kann. er kann nicht zwischen den zeilen lesen. die stimme ist also wer der die fälle der mobbing untersucht. ob sie irgendwann die täter finden. freu mich schon wenns weiter geht.
AntwortenLöschenJa, Sekka kommt halt aus einem anderen Land - und die Dimensionen vom Kaiserhof des größten Landes in Japan sind dann doch noch mal was anderes. Viel mehr Intrigen und Interessenskonflikte bei Hofe ;)
LöschenDas wundert mich nichts, dass er das anfangs nicht gut durchschauen kann xD